Das Sorgfaltspflichtengesetz

Carolin Friedrich

„Wirtschaftsverbände wollen Lieferkettengesetz aushöhlen“. „Lieferkettengesetz droht zur Farce zu werden“ – so war es im Spätsommer 2020 in den Medien zu lesen. Der öffentliche Streit zwischen Wirtschaftsvertretern und zivilgesellschaftlichen Organisationen entzündet sich vor allem an zwei Punkten: Werden Unternehmen für Verstöße in ihrer Lieferkette in die Haftung genommen? Und ab welcher Größe sollen Unternehmen vom neuen Gesetz betroffen sein?

Natürlich wäre eine Haftung das kraftvollste Element, um das Thema „nachhaltige Lieferketten“ nicht nur in der CSR-Abteilung und beim Einkauf, sondern auch in Risikomanagement und Compliance auf die Agenda zu rufen. Dies hätte vor allem für große Konzerne Folgen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass Haftungsansprüche geltend gemacht werden, wird sicher mit zunehmender Unternehmensgröße eher steigen.

Der blinde Fleck in der Diskussion

Doch ein zentraler Aspekt kommt in der Diskussion bislang viel zu kurz: Nicht nur die deutschen Unternehmen stehen mit dem Sorgfaltspflichtengesetz vor neuen Managementaufgaben – insbesondere die Zulieferer werden Kompetenzen und Strukturen aufbauen müssen, um den Transparenzanforderungen aus Deutschland zu genügen. Und dies im Idealfall unternehmensübergreifend, denn die Erfahrung der letzten Jahre bei der Durchsetzung von sozialen und ökologischen Mindeststandards hat gezeigt, dass die Einzelabfrage weder für Auftraggeber noch für Produktionsbetriebe ein wünschenswerter Weg ist. Das macht deutlich: Wenn wir es ernst meinen, geht es nicht ohne einen Dialog auf Augenhöhe mit den Produktionsländern.

Was ich in Bangladesch gelernt habe

In den vergangenen anderthalb Jahren bin ich als Nachhaltigkeitsberaterin sieben Mal im Auftrag der GIZ nach Bangladesch gereist. Meine Aufgabe lautete: Ein Nachhaltigkeitsreporting für lokale Verbände der Textilindustrie aufzubauen und sechs Pilotunternehmen aus Bangladesch auf dem Weg zu ihrem ersten GRI-Bericht zu begleiten. Bei der Arbeit vor Ort habe ich vor allem drei Dinge gelernt:

  1. Die Rolle der Verbände ist nicht mit Europa vergleichbar. Nach der Katastrophe von Rana Plaza und unter dem Druck der europäischen Textilunternehmen mussten die Textilverbände in Bangladesch Know-how und Personal aufbauen, um die Vorgaben des „Accords on Fire and Building Safety in Bangladesh“ zu überwachen. Heute beraten diese Verbände ihre Mitgliedsfirmen bei der Einführung neuer sozialer und ökologischer Standards, überwachen deren Einhaltung und schulen Führungskräfte und Arbeiter.
  2. Das drängendste Problem ist nicht eine fehlende Gesetzgebung in Bezug auf soziale und ökologische Standards, sondern der Vollzug und die Kontrolle der bestehenden Gesetze. Diese laxe Handhabung ist nicht im Sinne der lokalen Unternehmen, die ins Ausland exportieren. Schließlich müssen sie internationale Umwelt- und Sozialstandards einhalten.
  3. Luftverschmutzung, Vermüllung, sinkende Wasserspiegel und extreme Wetterereignisse machen die Bevölkerung krank, halten sie in Armut und hemmen die wirtschaftliche Entwicklung. Das kann niemand im Land mehr übersehen. Entsprechend steigt die Zahl derer, die sich für eine nachhaltige Entwicklung ihre Landes stark machen – seien es zivilgesellschaftliche Akteure, Unternehmen, Verbände oder die junge Generation.

Ein Katalysator für Veränderung vor Ort

Schon heute interessiert sich der Finanzmarkt dafür, ob die Unternehmenstätigkeit in den Produktionsländern Einfluss auf den Geschäftserfolg haben kann. Die Global Reporting Initiative berücksichtigt diese Fragen ebenfalls bei der aktuellen Überarbeitung ihrer Standards. Das Lieferkettengesetz wird dazu führen, dass noch mehr deutsche Unternehmen schnell Antworten auf Fragen wie diese finden müssen: Wie kann eine Risikoermittlung für die Produktionsländer aussehen, die belastbar ist und zugleich effizient? Kann jedes Unternehmen selbständig überprüfen, ob die Präventionsmaßnahmen vor Ort wirksam sind? Bedeutet die gesetzliche Vorgabe zur öffentlichen Berichterstattung, dass ein Berichterstattungsstandard angewendet werden muss?

Das Lieferkettengesetz hat das Potenzial, über die gesamte Lieferkette hinweg einen Dialog zwischen den Stakeholder-Gruppen anzustoßen. Aus meiner Sicht bietet dies die Chance, die bereits begonnene Transformation in Produktionsländern wie Bangladesch weiter zu beschleunigen. Folgende Ideen möchte ich in die Diskussion einbringen:

  • Länder- und branchenbezogene Risikostudien erstellen: Wäre es nicht von Nutzen für deutsche Unternehmen, wenn lokale Verbände Risikostudien mit aussagekräftigen Informationen und Daten erstellen und regelmäßige Aktualisierungen anböten? Steckt darin vielleicht auch eine Geschäftschance für die Verbände in den Produktionsländern?
  • Reportingkompetenz in der Lieferkette aufbauen: Es ist absehbar, dass die Datenabfrage nicht nur bei direkten Lieferanten, sondern auch in der tieferen Lieferkette zunehmen wird. Diese Unternehmen müssen dabei unterstützt werden, wichtige Kennzahlen (z.B. Unfälle, Wiedergutmachungszahlungen, Versicherte, Beschwerden, Managementsysteme für Umwelt-, Arbeitsschutz und Gebäudesicherheit) zu erheben und darüber Bericht zu erstatten. Dieses Thema sollte zügig auf die Agenda von Capacity-Building-Programmen in den Produktionsländern gesetzt werden. Auch die lokalen Verbände und Berater könnten hier wichtige Umsetzungshilfen leisten.
  • Stakeholder-Dialoge und Wirksamkeitsprüfungen bündeln: In Bangladesch wurde im Juni 2020 der RSC (Readymade Sustainability Council) als Nachfolger des „Accords on Fire and Building Safety in Bangladesh ins Leben“ gerufen. Im RSC sind neben Fabrikbesitzern und Verbänden auch internationale Textilmarken, Gewerkschaften und internationale Organisationen vertreten. Eigentlich eine ideale Plattform, um branchenweite Stakeholderdialoge durchzuführen und über den Aufbau von Beschwerdemechanismen und die gemeinsame Umsetzung von Wirksamkeitsprüfungen nachzudenken.

All dies kann jedoch nur gelingen, wenn Politik und Geberorganisationen die Institutionalisierung von Nachhaltigkeit in den Produktionsländern weiter fördern und Strukturen etablieren, die Glaubwürdigkeit und Transparenz sicherstellen.

Zeigen, dass es geht

Aktuelle Studien weisen darauf hin, dass Unternehmen, die sich bereits in der Vergangenheit für eine nachhaltigere Lieferkette eingesetzt haben, besser mit der Corona Krise umgehen konnten. Das allein müsste doch Argument genug sein, damit wir beim Sorgfaltspflichtengesetz endlich nicht mehr nur auf die Probleme, sondern vor allem auf die Chancen schauen – Chancen für die Abnehmer in Europa ebenso wie für die Produktionsunternehmen. Ich habe in Bangladesch den Eindruck gewonnen, dass die Unternehmen vor Ort mehr als bereit sind zum Dialog und zur Veränderung. Sind wir – Politik, Geberorganisationen und Unternehmen – es auch?


Vielen Dank an Dr. Sibyl Anwander von Anwander Consulting für die fachliche Durchsicht und meiner Kollegin Jana Kruse für die redaktionelle Bearbeitung.

Carolin Friedrich
ist Senior Beraterin bei Stakeholder Reporting GmbH und leitet das Berliner Büro.

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