Komplexität und Nachhaltigkeit managen

Frank Ebinger

Mit der wachsenden globalen Verflechtung von Unternehmen geht deren größer werdender Verantwortungsraum für ökologische, soziale wie menschenrechtliche Auswirkungen einher, die in Verbindung mit ihren Tätigkeiten stehen. Transparenz, Nachvollziehbarkeit und die Einhaltung von Normen sind Forderungen, die Investoren, Verbraucher, Aufsichtsbehörden sowie Umwelt- und Menschenrechtsgruppen in Form von unternehmerischen Sorgfaltspflichten an Unternehmen verlangen – im Zusammenhang mit der Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien.

Entsprechend entstehen weltweit gerade in Rekordzeit neue Standards und gesetzliche Regelungen zur unternehmerischen Verantwortung, die menschenrechtliche Sorgfaltspflichten, den Klimaschutz oder auch die Einführung einer Kreislaufwirtschaft adressieren. Nicht nur in Deutschland wird über ein Sorgfaltspflichtengesetz debattiert. Wie kürzlich eine Studie für die EU-Kommission mit dem Titel “Developments in due diligence“ zeigt, steht diese Entwicklung in einer Linie mit einem global zu beobachten Trend.

Lieferketten im Wettbewerb

Diese Forderungen treffen auf eine Komplexität heutiger Wertschöpfungsketten, die das Ergebnis jahrzehntelang zunehmender globaler Verflechtung sind. Der in den letzten Jahrzehnten anwachsende Outsourcing-Trend, bei dem Unternehmen verstärkt in Schwellenländern produzieren lassen, hat zu einer Verflechtung und einem Wettbewerb geführt, der inzwischen nicht mehr zwischen einzelnen Unternehmen ausgetragen wird, sondern zwischen ganzen Lieferketten. Komplexe Wertschöpfungsketten erstrecken sich über vielzählige Wertschöpfungsstufen und Tausende von Lieferanten. Bei der Herstellung ihrer Produkte beziehen Unternehmen Rohstoffe, Teile, Komponenten, Module und Materialien aus Hunderten von Ländern auf der ganzen Welt, die unter einer Vielzahl ökologischer, sozialer und politischer Kontexte hergestellt wurden. Daneben erhöhen kurze Produktlebenszyklen und eine zunehmende technologische Entwicklung die Risiken und Unsicherheiten in globalen Wertschöpfungsketten zusätzlich.

Digitalisierung als Antwort auf Komplexität

Diese enorme Komplexität von Wertschöpfungsketten stellt Unternehmen vor große Herausforderungen. Meist liegen Risiken und Probleme in der Tiefe der Wertschöpfungskette verborgen. Um diesen Herausforderungen begegnen zu können, werden in digitalen Ansätzen große Chancen für mehr Transparenz und Kontrolle und eine differenzierte Aufbereitung und Verwertung großer Datenmengen gesehen. Viele Diskussionen um Digitalisierung und die damit verknüpften Potentiale versprechen, dass künftig Informationen teilbar und auf Knopfdruck verfügbar sein könnten. Es könne eine Transparenz geschaffen werden, die zum Nutzen aller bei der effizienten Abarbeitung gesellschaftlicher Problemfelder oder unternehmerischer Herausforderungen unterstützt. Hierdurch wird ein dynamisch orientiertes nachhaltiges Wertschöpfungskettenmanagement möglich, das analytische Vergleiche zu Materialien, Branchen, Ländern und Themen zulässt.

Daten und Informationen sind zwar in der Regel in allen Unternehmen der Wertschöpfungskette in enormen Mengen vorhanden. Im Detail ist aber das Daten- und Informationsmanagement nicht so einfach, wie es an verschiedenen Stellen immer wieder suggeriert wird. Digitale Anwendungen stoßen dann auf Grenzen, wenn die Systemkompatibilität oder Datenstruktur nicht gegeben ist. Meist ist eine Fülle von Daten in verschiedenen Formaten und Strukturen vorhanden, die obendrein aus unterschiedlichen Informationssystemen stammen. Noch immer werden sie vielfach manuell erfasst, was einen hohen personellen Aufwand erfordert. Zudem bestehen häufig noch größere Intransparenzen in Wertschöpfungsketten, die davon herrühren, dass Daten von Unterlieferanten nicht vorliegen, da entweder kein direkter Kontakt besteht, diese ihre Daten nicht teilen wollen oder sie einfach nicht digital agieren.

Datenstrukturierung als Herausforderung

Daten sinnvoll zu strukturieren, zu organisieren und zu entscheiden, welche Daten weitergegeben werden sollen bzw. müssen, stellt eine entsprechend große Herausforderung dar. Zudem vergrößert sich durch die Fluktuation bei Lieferanten die Dynamik der Alterung von Daten. Eine Überforderung ist schnell erreicht und kann gar zu Entscheidungsblockaden führen. Deswegen ist die Frage besonders wichtig, für welche strategischen Entscheidungsgrundlagen die Wertschöpfungskettentransparenz dient.

Im Rahmen einer internen Studie haben wir am Nuremberg Campus of Technology (NCT) zunächst vier Managementfelder für eine transparente und nachhaltige Lieferkette herausgearbeitet:

  1. Nach dem Motto „achte wer sich länger bindet“ ist es für erfolgreiche und resiliente Wertschöpfungsketten wichtig, die richtigen Kooperationen und die Partnerauswahl zu organisieren.
  2. Für Unternehmen, deren Produkte oder einzelnen Produktbestandteile besondere umweltbezogene oder menschenrechtliche Risiken bei der Herstellung oder der Gewinnung einzelner Rohstoffe bergen, kann die Rückverfolgung in der Lieferkette eine wichtige Funktion sein.
  3. Strategische bzw. operative Risikoabschätzungen werden wichtig, um sektor- und regionenspezifische Problemlagen zu kennen und dann grundsätzliche Sourcingentscheidungen zu treffen.
  4. Schließlich sollen digitale Lösungen eine möglichst umfassende Steuerung (Governance) der Wertschöpfungskette ermöglichen.

In einem zweiten Schritt sondierten wir im Rahmen einer Literatur- und Internetrecherche digitale Lösungsansätze, die auf die Transparenz nachhaltiger Wertschöpfungsketten zielen. Viele dieser technischen Ansätze befinden sich noch im Pilotstadium, andere sind bereits breit in ihrer Anwendung. Es zeigt sich, dass hierbei von den Lösungsanbietern sehr unterschiedliche technologische Ansätze verwendet werden. Beispiele sind der stark gehypte Blockchain-Ansatz, Cloud-basierte Lösungen oder auch sogenannte Big-Data-Ansätze, die mittels Algorithmen Informationen zur Verfügung stellen, denen Potenziale für Wertschöpfungskettentransparenz und -kontrolle zugeschrieben werden. Bereits diese erste Analyse bestehender digitaler Ansätze zeigt, dass sich der Markt zwar dynamisch entwickelt, aber eher durch einzelne Initiativen und Ansätze getrieben wird. Die bisherigen Lösungsansätze befinden sich vielfach noch in der Erprobungsphase oder bieten nur eingeschränkte Lösungen. Umfassende Steuerungsansätze fehlen vielfach. Deshalb ist es sinnvoll, bestehende digitalen Ansätze vor dem Hintergrund der oben abgeleiteten Entscheidungsfelder zu betrachten.

Kooperation und Partnerauswahl

Auch im Bereich des Kooperationsmanagements haben sich unterschiedliche Plattform-Lösungen entwickelt, die beim Lieferantenmanagement unterstützen, z. B. durch webbasierte Ansätze beim Management von Code of Conducts, Self-Assessments, Evaluation und Benchmarking, Auditierung oder Monitoring und Entwicklung. Beispiele hierfür sind die Plattform EcoVadis oder die Plattform Fair Factories Clearinghouse, die speziell für die Textilbranche verschiedene Hilfsmittel – etwa für shared-Audits – zur Verfügung stellt. Getestet werden aktuell beispielsweise auch cloudbasierte Datenbanken, um ein akteursorientiertes „Supply Chain Mapping“ zu ermöglichen. Beispielsweise hilft der Ansatz von Sustainabill bei der Identifizierung von Akteuren, indem Wertschöpfungsnetzwerke durch das anonymisierte Offenlegen von Zuliefererstrukturen der beteiligten Unternehmen die Wertschöpfungskette und ihre Strukturen transparent werden lassen. Die Cloud-Plattform visualisiert die Wertschöpfungskette (multi-tier-Transparenz) und unterstützt bei der Rückverfolgbarkeit bis zum Ursprung.

Einen etwas anderen Ansatz verfolgt das Unternehmen Scoutbee. Es verwendet eine KI-basierte Softwarelösung, die auf Big Data unterschiedlicher Quellen zurückgreift, um Unternehmen bei der Lieferantensuche zu unterstützen und tiefgreifende Marktinformationen zu bieten. Wiederum andere Ansätze beschäftigen sich mit der Weitergabe von Informationen wie Auditergebnissen durch die Förderung von Blockchain-Technologie in ersten Pilotprojekten, um das Risiko der Manipulation innerhalb der geteilten Daten zu reduzieren.

Rückverfolgung (Tracebility/Tracking)

Im Bereich der Rückverfolgung – z. B. von Rohstoffeigenschaften, die dann auch im Endprodukt nachgewiesen werden können – existieren bereits verschiedene Ansätze. So bieten verschiedene Anbieter wie beispielsweise Accenture, IBM Vinturas, iPoint/better chain oder Minespider Blockchain-gestützte Rückverfolgungsansätze an, die beispielsweise eine „Mineral Supply Chain Due Diligence“ ermöglichen. Da die Blockchain-Technologie sich auf einzelne Transaktionen skalieren lässt und sicherstellt, dass einmal verifizierte Daten nicht mehr geändert oder manipuliert werden können, sind beispielsweise einzelne Produkte von ihren Ursprungsmaterialien bis hin zum Endprodukt transparent rückverfolgbar. Blockchains bieten für Transaktionen eine gemeinsam genutzte, abgesicherte und unveränderbare Aufzeichnung von Informationsflüssen. Allerdings müssen die eingespeisten Daten dennoch auf Plausibilität und Richtigkeit geprüft werden. Aber es lässt sich leicht nachvollziehen, von wem und wann diese Daten stammen.

Das Schweizer Startup-Unternehmen Haelixa bietet einen anderen Ansatz der Rückverfolgbarkeit an. Die von ihnen entwickelte Produktmarkierungstechnologie, die einen rückverfolgbaren physischen Marker mit spezifischen Informationen auf Rohstoffen aufbringt, kann über den gesamten Verarbeitungsweg verfolgt werden und ist auch im Endprodukt mitsamt seiner Information auslesbar. In Verbindung mit digitalen Technologien lässt sich sogar ein zertifizierbares Tracing-/Trackingsystem aufbauen.

Ansätze zur strategischen und operativen Risikoabschätzungen

Zur strategischen und operativen Risikoabschätzung existieren bereits vielfältige digitale Ansätze, die häufig als Plattformlösungen angeboten werden. Es scheint sich herauskristallisiert zu haben, dass es zur Einschätzung von Risiken sinnvoll ist, in gemeinsamer Initiative mit anderen Unternehmen der Branche oder darüber hinaus Einschätzungen vorzunehmen. Die entstandenen Plattformen basieren entsprechend meist auf der Zusammenarbeit von Unternehmen, Unternehmensverbänden und vereinzelt auch auf der Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen und Ministerien. Die Analysen in einzelnen Sektoren oder aber über die Sektorengrenzen hinaus werden auf der Datengrundlage der Partnerorganisationen erstellt und identifizieren sektorspezifische oder -übergreifende Nachhaltigkeitsrisiken. So kann beispielsweise der CSR Risk Check, der von MVO Nederland entwickelt und durch das Holländische Außenministerium gefördert wurde, Risiko-Informationen für importierende oder im Ausland produzierende Unternehmen zur Verfügung stellen, die auf Basis von mehr als 2.750 Datenquellen bewertet wurden (siehe Beitrag dazu in diesem Magazin). Ein anderes Beispiel stellt die Initiative “Drive Sustainability” (DS) dar, die auf einer Partnerschaft von zehn Autoherstellern beruht. Diese branchenorientierte Plattformlösung wurde gebildet, um durch Risikoanalysen zu 37 Materialprofilen und entsprechende „heat maps“ zu sozialen oder ökologischen Risiken, Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit in der gesamten Automobilzulieferkette zu identifizieren.

Unternehmen können sich aber auch auf individueller Ebene mit den Risiken in ihren Wertschöpfungsketten auseinandersetzen. Beispielsweise bieten das Unternehmen Riskmethods oder auch IBM Supply Chain hier Lösungen an, die auf künstlicher Intelligenz, Big Data Analytics und Blockchain basierter End-to-End-Supply-Chain-Transparenz beruhen und die Vorhersage von Unterbrechungen und die Identifizierung von Risiken in Wertschöpfungsketten zum Ziel haben.

Steuerung (Governance)

Die Steuerung bzw. das Management von nachhaltigkeitsorientierten Wertschöpfungsketten erfordert letztlich einen Mix aus verschiedenen digitalen Methoden und Technologien, wie z. B. die Kombination von Blockchain und cloudbasierter Anwendungen, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz entsprechende Informationen zusammenführen. Hier bietet EcoVadis derzeit eine mögliche Lösung an.

Die folgende Tabelle fasst die Diskussion nochmal zusammen:

Ebenen der Wertschöpfungskettentransparenz Digitale Ansätze zur Unterstützung
Steuerung (Governance) Mix aus verschiedenen Methoden und Technologien, wie z. B. Blockchain und cloudbasierte Anwendungen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz bei gleichzeitiger Integration in die unternehmensinterne Datenarchitektur
Kooperation und Partnerauswahl Big Data-gestützte Ansätze, Blockchain-Lösungen
Rückverfolgung (Tracebility/Tracking) Blockchain-gestützte Ansätze, kombinierte physisch/digitale Ansätze
Strategische und operative Risikoabschätzungen Interne und externe cloudbasierte Plattformansätze, Big-Data-gestützte Analysen, externe Informationstools

Letztlich müssen Unternehmen aus den oben genannten Ansätzen in Verbindung mit der unternehmensinternen Datenarchitektur einen individuellen Ansatz entwickeln und mit ihren eigenen spezifischen Notwendigkeiten und datentechnischen Voraussetzungen sowie denen der Partner anpassen.

Der Text beruht teilweise auf dem demnächst erscheinenden Beitrag: F. Ebinger und B. Omondi: Transparenz und Digitalisierung in nachhaltigen Wertschöpfungsketten – Ansätze für ein erfolgreiches CSR-Management, in: A. Hildebrandt und W. Landhäußer (Hrsg.), CSR und Digitalisierung, 2. Aufl., Management-Reihe Corporate Social Responsibility.

Autor

Prof. Dr. Frank Ebinger
hat eine Forschungsprofessur für Nachhaltigkeitsorientiertes Innovations- und Transformationsmanagement an der Technischen Hochschule Nürnberg inne.
frank.ebinger@th-nuernberg.de

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