Neues Mindset für nachhaltigen Wandel

Philipp Dahl

Unternehmen waren schon immer großem Veränderungsdruck ausgesetzt. Neue Bedürfnisse führen zum Wandel der Geschäftsmodelle, neue Wettbewerber zu mehr Konkurrenzdruck und neue Technologien oft genug zu raschen Marktbereinigungen. Es überleben jene, die ihr Geschäft fortlaufend auf den Prüfstand stellen, sich schnell an neue Bedingungen anpassen und auch mit unerwarteten Krisen oder Herausforderungen umzugehen wissen. Die Corona-Pandemie hat uns vorgeführt, wie zerbrechlich unser Wirtschaftssystem und wie wichtig daher die Widerstandsfähigkeit von Unternehmen und ihre Kraft ist, sich immer wieder neu zu erfinden.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass sich die Art, wie wir wirtschaften und unser Leben führen, verändern muss. Die notwendige Transformation ist zu großen Teilen auf ökologische Herausforderungen und gesellschaftliche Entwicklungen zurückzuführen. Sie wird durch die Digitalisierung und technologische Umbrüche beschleunigt. Dieselgate und der Erfolg von Tesla beispielsweise haben zu einer Abkehr vom klassischen Verbrennungsmotor geführt, wie sie noch vor wenigen Jahren niemand für möglich gehalten hätte. Die Absage der Politik an eine Kaufprämie für konventionell angetriebene Autos war auch für andere Branchen ein klares Signal, dass die Hoffnung auf ein „Weiter so“ oder zumindest auf eine langsame Umstellung der noch erfolgreichen Geschäftsmodelle trügerisch ist. Was das heißt, erlebt die Fleischindustrie gerade wie im Zeitraffer.

Und so hat die Pandemie letztlich die Einsicht in die Notwendigkeit einer raschen Transformation noch einmal mehr befeuert. Sie war gewissermaßen ein Weckruf, indem sie rasch und unbarmherzig deutlich machte, wie verletzbar wir sind, wie sehr unser Wohlstand auf teils ausbeuterischen Methoden basiert und wie wenig widerstandsfähig unsere auf Effizienz und „Just in Time“ getrimmten Prozesse sind. Damit sind Themen wie Kreislaufwirtschaft, Biodiversität oder regionale Wertschöpfung, die bisher nicht wirklich ernst genommen wurden, stärker in den Blick geraten. Das Thema Klimaschutz könnte gar einen ganz neuen Schub erfahren. Denn auch das hat die Krise gezeigt: Wir können mit Veränderungen rasch und entschieden umgehen. Die Gestaltungskraft, die der Staat in dieser Krise bewiesen hat, dürfte künftig auch Vorhaben wie den europäischen Green Deal oder Sustainable Finance prägen.

Vor diesem Hintergrund sollte sich nun jedes Unternehmen hinterfragen und sein Geschäftsmodell auf den Prüfstand stellen. Dabei ist es gut beraten, sowohl an den Prozessen und den Produkten wie auch an seiner Kultur und der Führung anzusetzen – und Nachhaltigkeit und Verantwortung zu den Leitplanken der Weiterentwicklung zu machen. Was das bedeutet, ist nachfolgend anhand von sechs Thesen dargestellt:

Purpose schafft ein Mindset für Veränderung

Unternehmen, die sich auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen, müssen auch ein neues gemeinsames Mindset entwickeln, das mit dem Wandel umgehen kann. Ein Purpose, der Nachwuchs und Kunden begeistert, ist dafür eine gute Basis. Er motiviert Mitarbeiter und setzt neue Kräfte frei. Die Erwartung der Mitarbeiter und anderer Stakeholder an Sinnhaftigkeit des unternehmerischen Handelns wird durch die Krise eher bestärkt. Ja, mehr noch: Die Hoffnung, dass Unternehmen sich mit dem, was sie entwickeln und herstellen, am Gemeinwohl orientieren, könnte deutlich steigen. Dabei ist ein gelungener Purpose mehr als nur ein Slogan. Er verknüpft die Werttreiber des Geschäftsmodell mit wichtigen Zukunftsthemen, relevanten Nachhaltigkeitsanforderungen und spiegelt wider, wie sich Werte und Haltung von Unternehmen ausdrücken. Er ist das Ergebnis eines Prozesses, der auf eine nachhaltigkeitsorientierte Unternehmensstrategie einzahlt, und weist Unternehmen den Weg in eine Zukunft, die verantwortungsbewusst gestaltet wird.

Führung muss Wegweiser in die Zukunft sein

In Zeiten, die von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUKA) geprägt sind, muss Führung Orientierung vermitteln. Jede Führungskraft muss heute in der Lage sein, auf veränderte Rahmenbedingungen agil zu reagieren, weitsichtige Entscheidungen zu treffen und Mitarbeiter „mitzunehmen“. Eine fundamentale Voraussetzung für eine vorausschauende Unternehmensführung ist eine dauerhafte und tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem, was die Zukunft bringen könnte. Corporate Foresight, die strategische Frühaufklärung durch das Management, ist dafür wichtiger denn je. Die Szenario-Analyse hilft in diesem Zusammenhang, relevante Einflussfaktoren zu erkennen, ihre Auswirkungen auf das Marktumfeld zu antizipieren und passende Strategien abzuleiten. Insbesondere vor dem Hintergrund von klimabezogenen Risiken ist die Auseinandersetzung mit verschiedenen Szenarien unumgänglich. Doch Unternehmen sollten die ganze Bandbreite an Nachhaltigkeitsthemen und -herausforderungen berücksichtigen, wenn Sie die Zukunft in den Blick nehmen.

Werttreiber sind für den Erfolg neu zu definieren

Transformation kann nur gelingen, wenn Unternehmen ihr Handeln und die Werttreiber kritisch hinterfragen. Dabei geht es im Kern um die Frage, wie und für wen Wert erzeugt wird. Nach der Abkehr vom Prinzip des Shareholder Values gewinnen systemisch geprägte und ganzheitliche Konzepte an Bedeutung. Sie basieren auf der wissenschaftlichen Erkenntnis der planetaren Grenzen und untermauern die Notwendigkeit einer globalen Nachhaltigkeitsagenda. Ausgehend davon können Unternehmen nur dann langfristig erfolgreich sein, wenn sie die negativen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeiten vermeiden und gleichzeitig wichtige gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigen, sprich einen positiven Impact schaffen. Dabei helfen Frameworks wie das Future-Fit Business Benchmark, das unter anderem von John Elkington mitentwickelt wurde. Es zeigt Unternehmen klare Zielgrößen und notwendige Beiträge auf, die es für die Sicherstellung einer zukunftsfähigen Gesellschaft umzusetzen gilt. Dieser Ansatz ist auch aus einer rein betriebswirtschaftlichen Sicht überzeugend. Denn Unternehmen, die aktiv auf ökologische und soziale Herausforderungen reagieren, sind viel eher in der Lage, daraus resultierende Risiken zu meistern und die Chancen zu nutzen, die sich aus eben diesen Herausforderungen in den kommenden Jahren unweigerlich ergeben werden.

Prozesse sollten resilienter statt effizienter werden

Grundsätzlich bieten etablierte Geschäftsprozesse auch in Krisenzeiten Orientierung und sorgen für Stabilität in einem unsicheren Umfeld. Gleichzeitig gilt aber auch: Abläufe, die allein auf Effizienz ausgerichtet sind, lassen den nötigen Spielraum außer Acht, den Unternehmen bei der Navigation durch volatile Zeiten brauchen. Vielmehr können optimal abgestimmte Prozesse plötzlich selbst zur Hürde werden, wenn neue Rahmenbedingungen rasche Anpassungen erfordern. Daher sind in Zukunft besonders solche Prozesse gefragt, die ein gewisses Maß an Flexibilität erlauben, weniger komplex und mit klaren Verantwortlichkeiten hinterlegt sind. Insbesondere der Blick auf die durchgetaktete globalisierte Weltwirtschaft macht diese Notwendigkeit deutlich. Corona führte uns vor Augen, wie anfällig globale und weit verzweigte Wertschöpfungsketten sind. Die Voraussetzung für den Aufbau stabiler Lieferketten ist freilich, dass die Unternehmen die Risiken kennen und beispielsweise ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen. Auch der Rückbau von Komplexität und die Abkehr von der reinen Effizienzfokussierung können die Widerstandsfähigkeit der Wertschöpfung stärken. So ist davon auszugehen, dass Unternehmen sogenannte Reshoring-Programme prüfen werden und womöglich Teile der Wertschöpfung wieder lokal erbringen.

Kooperation schafft Potenzial für Innovationen

Unternehmenserfolg und langfristige Wettbewerbsvorteile fußen auf motivierten und qualifizierten Mitarbeitern. Sichere Arbeitsplätze, eine faire Entlohnung und gute Weiterbildungsmöglichkeiten sind dafür unerlässlich. Resiliente Unternehmen gehen aber noch einen Schritt weiter: Sie fördern den offenen Dialog, schaffen Möglichkeiten zur Einbindung und befähigen ihre Mitarbeiter, in kritischen Situationen eigenverantwortlich und im Sinne der Unternehmensziele zu handeln. Ein Purpose, der diese Ziele für alle anschaulich und attraktiv macht, schafft die notwendige Identifikation, die zugleich die Innovationskraft des Unternehmens stärkt. Darüber hinaus pflegen resiliente und purpose-orientierte Unternehmen die Beziehungen mit den Menschen im Umfeld und bringen sich in die Weiterentwicklung einer zukunftsfähigen Gesellschaft ein. Es geht ihnen hier um weit mehr als Akzeptanz und Anerkennung. Vielmehr erschließen sie sich damit das Potenzial neuer Partnerschaften und Kooperationen mit dem Ziel, gemeinsam an innovativen Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu arbeiten und so das eigene Geschäftsmodell weiterzuentwickeln.

Nachhaltigkeit und Resilienz gehen Hand in Hand

Die Gesellschaft nach Corona wird eine andere sein. Das trifft auch auf die Wirtschaft zu. Manche Unternehmen werden die Krise nicht überleben, viele sich mühsam berappeln, andere als Gewinner daraus hervorgehen. Welche das sind, wird sich noch zeigen. Was wir aber sicher wissen, ist, dass es jederzeit wieder zu einer solchen Krise kommen kann und dass unabhängig davon die Transformation nun sehr rasch voranschreitet. Für die Vorbereitung auf morgen spielen Nachhaltigkeit als Leitplanke und Verantwortung als Grundprinzip eine zentrale Rolle. Unternehmen sollten diese Anforderungen nicht mehr nur „wegmanagen“ wollen, sondern als Gestaltungsanspruch ernst nehmen, der ihnen hilft, widerstandsfähig und langfristig erfolgreich zu sein. Nicht von ungefähr überschneiden sich viele Facetten des Nachhaltigkeitsmanagements mit jenen aus etablierten Standards und Frameworks zur organisatorischen Resilienz. Wenn man Nachhaltigkeit als Übergang von der Nachsorge zur Prävention versteht, dann liegt in ihr der Schlüssel zur Bekämpfung von Krisen und zum Aufbau von widerstandsfähigen Unternehmen.

Autor

Philipp Dahl ist Director bei der akzente kommunikation und beratung GmbH, die Unternehmen bei der Transformation und der Nachhaltigkeitskommunikation berät und unterstützt. akzente ist Teil des CSR NEWS-Netzwerks.
philipp.dahl@akzente.de

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